Trauma, Traumatisierung II

Im letzten Beitrag hatten wir gestern über traumatisierende Ereignisse, wie Unfälle, Krieg und Verfolgung, Folter, Naturkatastrophen etc. gesprochen.

Traumatisierungen können auch Kinder erleiden. Mit Blick auf viele unserer Klienten und Klientinnen, Kunden und Kundinnen, möchte ich auf die Bindungstraumatisierungen aufmerksam machen. Ich möchte dazu selbst nicht viel schreiben, sondern Euch auf informatives Online-Material aufmerksam machen:

Karl Heinz Brisch, der Fachmann für Bindungsstörungen www.khbrisch.de
Hier zunächst eine PowerPoint zu Bindungsstörung:
https://www.khbrisch.de/media/brisch_gle_dresden_20180429_versand2.pdf
weiteres Material findest Du auf seiner Website bei
https://www.khbrisch.de/downloads/folien/

Damit greife ich jetzt schon etwas vor, weil wir in einer späteren Blog Einheit noch explizit auf das Thema Bindung zu sprechen kommen, wenn es um Gesprächsführung gehen wird. An dieser Stelle in der Einheit Hirnforschung ist mir der Hinweis wichtig, daß das grundlegende „Arbeitsmodell“ für Bindungssicherheit im 1. Lebensjahr (mind. im 1.-3. Lebensjahr) gelegt wird. Hier werden in bestimmten Prägungs- bzw. Reifungsphasen Hirnstrukturen entwickelt, auf die jede weitere Entwicklungsstufe aufbaut. Wolf-Detlef Rost* nutzt die Metapher eines Hausbaues: „Der Bau kann zwar im Prinzip auf einem fehlerhaften Fundament errichtet werden, wäre dann aber keinem Erdbeben gewachsen und würde auch zu Mängeln im darauf errichteten Haus führen.“

Splitter im Gehirn – biografische Fragmentierungen entstehen in der kindlichen Entwicklung auf zweierlei Weise:
1. Wenn Eltern mit wenig Feinfühligkeit allzu oft übersehen, daß ihr kleines Kind bestimmte „Informationen“ und „Mitteilungen“ (siehe Luhmann Systemtheorie 8. Einheit) noch nicht versteht, sondern so überfordert wird bzw. ist, daß das Furcht- oder/und Panikssytem aktiviert wird, dann klinkt es sich für Zeitfenster aus der Wahrnehmung der Umwelt und seiner selbst aus und in der darauffolgenden Zeit (Stunden bis Wochen) befindet sich das Gehirn in jenem Zustand der Inkonsistenz, in dem es weitere „Informationen“ und „Mitteilungen“ nur selektiv und bruchstückhaft aufnehmen und verarbeiten kann, d. h. es entstehen Zeitfenster in denen das Kind vieles nicht mitbekommt, also auch nicht erinnern kann, was weitere Inkonsistenzen schafft.
2. Das gleiche geschieht, wenn Kinder Gewalterfahrungen machen, Gewalt gegen sie selbst und/oder Gewalt, die sie gegenüber anderen erleben.

So erleben wir dann in der Sozialarbeit Klient*innen mit biografischen Brüchen, die sich nicht an eine durchgängige, d. h. in sich konsistente, Biografie erinnern können.**

Zu den Biografie“stücken“ (Zeitfenstern) an die sich nicht oder kaum erinnert werden kann, gehören diffuse, globale affektiv-emotionale Zustände wie Depression, Angst, Wut. Sie melden sich ohne Vorwarnung und überschwemmen das Gehirn, die Psyche, das Erleben. Sie können mit nichts Realem in Verbindung gebracht werden. Das Gehirn, etwas im Gehirn, ist angetriggert worden und dann schmerzt der Splitter und sucht sich mit irgendeiner Form von Kommunikation einen Adressaten.

Unter vielen Mischformen können wir 2 dieser Zustände identifizieren:
Hyperarousals sind Übererregungszustände
Dizzoziationen sind Zustände des Wegtretens

Es erfordert neben dem Wissen um diese Erscheinungsbilder einige Berufserfahrung, derlei Zustände bei Klienten erkennen und dann einordnen zu können. Wie wir dann in der Beziehungsgestaltung und Gesprächsführung damit umgehen – da muß ich Euch leider wieder vertrösten, geht es doch hier zunächst erst einmal nur um die Verarbeitungsweisen im Gehirn.

Eine Buchempfehlung will ich noch geben: Andreas Krüger. Powerbook. Erste Hilfe für die Seele. Band 1. Trauma-Selbsthilfe für junge Menschen.


* Wolf-Detlef Rost. Psychoanalyse des Alkoholismus. Stuttgart 1987. Seite 125f
** siehe www.newsletter-epigenetik.de/epigenetik-und-persoenlichkeitsstoerungen